Mensch sein

 

Der Songtext von den ÄRZTEN „ICH, Am Strand“ entfachte eine Diskussion innerhalb unserer Familie. Jörg hörte es im Radio und gab diesen Song in den Familienchat mit dem Bemerken 
„Text macht mich schon nachdenklich“

Martin: „Warum?“

Jörg: „Der Absturz“

In dem Song geht es um einen Menschen, der Höhen und Tiefen in seinem Leben erfahren hat,
jedoch zuletzt als Obdachloser strandete, gegen die Wand lehnend, an seine Kindheitserinnerungen ICH, Am Strand, dachte.

Meine Bemerkung dazu war 
„Der (Text) ist heftig, aus meiner Sichtweise heraus manipulativ und zeigt am Ende Hoffnungslosigkeit auf“

Martin äußerte sich dazu so:
„So anders kann die Sicht auf die Dinge sein. Ich finde den Song wunderschön und genial. Er löst in mir Mitgefühl und Optimismus wie Hoffnung aus, zu helfen und etwas ändern zu wollen. Woher das Mitgefühl? Ja weil es Menschen so ereilen kann. Warum Optimismus? Weil auch mit so einem Schicksal der Mensch nicht untergehen muss, er sich an den guten und schönen Seiten des Lebens festhält, „Ich als Kind an Mamas Hand, ich mit Nina, glücklich … ich am Strand …“ Untermalt wird dieser Optimismus durch die tragende Musik, die Möwen, das Meeresrauschen und dem Refrain „Ich am Strand“. In der Ausweglosigkeit ist immer auch ein Licht zu sehen. 🖖“

Auf die Antwort von Martin erwiderte ich:
„Sehr schön Martin, dass du es so sehen kannst 😘❤️“

Jörg erwiderte auf die Antwort von Martin:
„Die Sichtweise ist mir aufgrund der Nachmoderation – Radio 1 sprach vom Absturz eines Menschen – sofort genommen, ja Martin, der Glaube stirbt zum Schluss, es hatte mich erst mal runter gezogen 😘“

Martins Antwort auf die Antworten von Jörg und mir:
„Text und Refrain/Musik passen auf den ersten Blick nicht zusammen. Der Text ist durch die Musik erst zu ertragen. Dieses „Ertragen“ ist für mich die Resilienz – die Musik, Energie die mich wieder hochzieht. 🤗

So hatten wir, Martin, Jörg und ich – jeder auf Grundlage seiner eigenen Erfahrungswelt, auch verschiedene Blickwinkel auf diesen Song und dann erzählte uns Hannes im Chat seine er- und gelebte Geschichte mit einem obdachlosen Menschen:

Hannes: 
„Das erinnert mich auch an ein Gespräch, dass ich mit einem Obdachlosen in Jena hatte. 
Dieser hockte an einer Straßenunterführung, komplett ungepflegt neben seinem Einkaufswagen. Als ich ihn fragte, ob er Hilfe bräuchte, meinte er, dass ihm sein Bauch weh tue. Er versicherte mir aber, dass dieser Schmerz nicht physisch, sondern nur mentaler Natur sei. – Laut ihm war es der Weltschmerz, den er in sich aufgenommen hatte.



Als wir dann weiterredeten, begann er immer mehr zu strahlen, weil er sich freute, dass mal jemand mit ihm redete. Das Gespräch mit ihm war sehr besonders, denn alles, was dieser Mensch über sich und das Leben sagte, steckte voller Liebe und Dankbarkeit. Er war froh über das, was er noch hatte – also sein Leben und das er das alles erleben durfte. Also auch, dass er diesen Schmerz erleben durfte und genau in der Situation, in der er war, sein zu dürfen, war für ihn ein Privileg. 



Martins Reaktion hierauf: 
„Wow, was für ein Erlebnis Hannes. Ich hätte mir wahrscheinlich nie getraut, vor Scham ihn anzusprechen.“ 



Jörgs Reaktion hierauf: 
„da kommen mir fast die Tränen…. echt emotional und schön, dass wir uns darüber unterhalten haben 👌 😀 😘“ 



Hannes weiter: 
„Zum Schluss hat er mich noch gefragt gehabt, ob er mich umarmen darf. Wir haben uns dann richtig lange umarmt. Er hat dabei angefangen zu weinen, meinte dann: „Weißt du eigentlich, dass das hier gerade richtige Liebe ist? Liebe geht nämlich auch ohne Sex.😉“



Caro zur Geschichte von Hannes und dem Song der Ärzte: 
„Zu Tränen gerührt. Eine wunderschöne Geschichte und voller Dankbarkeit fürs Leben und Liebe auch für den Weltschmerz ♥️. Ein toller Song, so gute Lyrics. Ich sehe ihn in der Interpretation auch wie Martin eher …“

Jule zur Geschichte von Hannes und zum Song der Ärzte:
„Echt schön!!
Zum Lied: Ich am Strand, ich interpretiere es so: Aus seiner Perspektive erklärt er, war seine Kindheit nicht so toll, aber es hatte seine schönen Momente mit Opi, ich habe das erste Mal Urlaub = ich bin am Strand. Das Leben mit all seinen Verstrickungen hat ihn stranden lassen. Ich bin am Strand = er ist im Urlaub vom Leben, vom Wettrennen mit der Gesellschaft und den Pflichten, er ist frei und im Moment. Daher passt die Musik“.

Jörg zu Jule: 👍
„… ebenfalls supi Gedanken, da haben die Ärzte mal wieder einen tollen Titel gemacht 😘“

Zu guter Letzt noch ich:
„Dieses Lied hat mit seinem Text letzten Endes so schöne Sichtweisen, Gedanken und Geschichten hervorgebracht und zeigt, wie viel Liebe in uns allen ist, ich bin ganz gerührt. ❤️😘 „

Die Geschichte von Hannes hat mich sehr berührt, zeigt sie doch auf, dass ein direktes Zugehen auf einen Menschen, mit Respekt und Akzeptanz, Zugewandtheit und offenem Herzen, das Beste im Menschen hervorbringen kann, egal, wo er sich gerade im Lebenskarussell befindet.

Was hindert uns daran, solch schöne Erfahrungen mit Familienmitgliedern und mehr oder weniger bekannten Menschen zu machen?
Die Hürden setzen wir uns selbst durch unser Denken. Martin drückt dies gut mit seinem Satz aus:
„Ich hätte mir wahrscheinlich nie getraut, vor Scham ihn anzusprechen.“

Hätte, könnte, wäre, wollte, aber, eigentlich … sind Worthülsen, die uns in die Annahme bringen, die unser Denken beeinflussen, uns nicht den Schritt tun lassen, der in einer Situation notwendigerweise folgerichtig zu machen ist.
Was hindert uns Menschen daran, entsprechend unserem Bedürfnis zu handeln?
Angst, nicht die richtigen Worte zu finden?
Angst, erneut Ablehnung zu erfahren?
Angst vor Ausgrenzung?
Angst, Gefühle zu zeigen?

Ich könnte wohl hier beliebig fortfahren; es sind zu viele Ängste, die in den Menschen tief verankert sind und dessen sie sich kaum bewusst sind. Glaubenssätze bringen diese oft ans Licht, ohne dass diese Sätze als solche erkennbar sind, da sie im umgangssprachlichen Wortschatz enthalten sind.

Beispiele hierfür sind u.a.:
Lass das sein. Das schaffst du nicht. Du bist zu klein dafür. Jungen weinen nicht. Mädchen sind immer lieb und brav. Das reicht nicht. Schuster bleib bei deinen Leisten. Das kannst du sowieso nicht. ….

Nicht zuletzt den beiden Weltkriegen geschuldet, die eine unsägliche Gewaltspirale im Denken, Fühlen und Handeln der Menschen entfachten. Dieses Gewaltpotential ist auch heute noch, nach nunmehr vier Generationen, immer noch intakt. Die Traumata, die die Generationen vor uns erfahren haben, wurden nie gesamtgesellschaftlich, geschweige denn individuell, auf Familienebenen, aufgearbeitet. Familiengeheimnisse, wohin man schaut. So bestehen die kollektiven Transgenerationentraumata fort.

Ängste, Scham und Schuld sind stark verwurzelt in unserer heutigen Gesellschaft, aber das macht uns nicht allein als Mensch aus. Dem gegenüber stehen Glaube, Liebe und Hoffnung.

Wer wir meinen zu sein und wo wir im Leben meinen, zu stehen, macht letzten Endes unser Mensch Sein alleine nicht aus. Wir tragen alle sowohl den Schatten als auch das Licht in uns. Jeder ist für sich selbst und sein Leben verantwortlich, nicht der Mensch, der uns im Außen begegnet. Der dient uns lediglich als Spiegel unserer Innenwelt.

Ich meine, dass ein Miteinander, ein Verstehen wollen, Respekt und Akzeptanz, die ersten Schritte hin zu Frieden sind.

Beginnen müssen wir jedoch zuerst immer bei uns selbst – Sei du der Mensch, der du wirklich bist und nicht der Mensch, wie ihn andere gerne haben wollen.

In diesem Sinne wünsche ich dir Kraft und Zuversicht auf deiner Reise zu dir selbst, deinem Mensch SEIN.

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